Die zwei Welten der Führung
Erfahrene vs. junge Führungskräfte
Im Fußball und auch in vielen Unternehmen geht der Trend zur Verjüngung der Führungskräfte. Während Julian Nagelsmann oder Domenico Tedesco bei großen Clubs unter Vertrag stehen, die in der Champions League spielen, setzen abstiegsbedrohte Vereine auf ältere und erfahrene Trainer als sogenannte „Feuerwehrmänner“. Hart ausgedrückt: Sie sollen den Verein vor dem Abstieg retten und können dann wieder gehen. Doch ist das die richtige Lösung? Wer sollte in der modernen Welt der Leader sein – jung oder erfahren?
Die Verjüngung des Fußballs
Im Februar 2016 wurde eine Wende im deutschen Fußball eingeleitet. Julian Nagelsmann wurde mit damals 28 Jahren zum Cheftrainer der TSG Hoffenheim. Bis heute gab es keinen Jüngeren auf dieser Position. Nagelsmann übernahm das Traineramt vom damals 64-jährigen Huub Stevens, der aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Die Trainerkarriere des ehemaligen Abwehrspielers von damals bis heute, liest sich wie eine Erfolgsgeschichte: Erst rettete er Hoffenheim vor einen Abstieg und führte sie in der darauffolgenden Saison auf den vierten Platz, welcher die Qualifikation für die Champions League bedeutete. Dort scheiterte die Mannschaft zwar gegen den FC Liverpool, doch dafür duften sie dann das erste Mal in der Europa League spielen. 2019 wechselte er schließlich zu RB Leipzig und war von nun an in der Champions League zu Hause. Die Erfolge von Nagelsmann bei der TSG Hoffenheim und RB Leipzig weckten anschließend das Interesse vieler deutscher Vereine. Er entschied sich jedoch zur Saison 2021/2022 dazu, Cheftrainer des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München zu werden.
Der Wandel der Führungspersonen im Fußball
Nachdem Julian Nagelsmann zum Cheftrainer der TSG Hoffenheim wurde und diesen Verein vor den Abstieg rettete, brachte dies auch andere Vereine dazu über die Wahl eines jungen Trainers nachzudenken. Plötzlich hießen die Trainer in der Bundesliga nicht mehr Jupp Heynckes, Felix Magath oder Huub Stevens, sondern Florian Kohfeld, Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp. Und sie hatten Erfolg: Die beiden letztgenannten sind heute Cheftrainer von zwei Top-Vereinen der Premiere League und gewannen beide jeweils die Champions League mit ihnen.
Auch die Spieler werden immer jünger
Doch nicht nur die Trainer sind jung – auch ihre Schützlinge werden immer jünger. Heute ist es keine Seltenheit mehr, dass 18-jährige Fußballer für große Vereine auf dem Platz stehen. Seit dem Frühjahr der Saison 2020/2021 ist es erlaubt, dass Spieler bereits mit 16 Jahren in der Bundesliga auf dem Platz stehen dürfen. Deswegen durfte auch das Sturmtalent Youssoufa Moukoko von Borussia Dortmund nach seinem 16. Geburtstag bereits sein Bundesliga-Debüt feiern. Jüngere Trainer haben also den Vorteil, dass ihre eigene Karriere noch nicht so lange vorbei ist und sie sich daher eher in die jungen Talente einfühlen können. Denn der Umgang mit Talenten erfordert Fingerspitzengefühl.
Junge Führungskräfte auch vermehrt in deutschen Unternehmen
Laut einer Studie der Commerzbank aus dem Jahr 2017 verändert sich auch in vielen deutschen Unternehmen die Führung. Demnach erwarteten 39 Prozent der Unternehmen innerhalb von fünf Jahren einen Führungswechsel. Ältere Chefs verabschieden sich also in den Ruhestand und die nachfolgenden Generationen übernehmen ihre Positionen. Außerdem kann man der Studie entnehmen, dass die meisten Führungskräfte in den befragten Unternehmen unter 60 Jahre alt sind. 39 Prozent sind sogar erst zwischen 40 und 49 Jahre alt und bildeten damit die Mehrheit. Auch in den deutschen Unternehmen ist also eine Verjüngung erkennbar. Wobei dies auch nur ein ganz normaler Generationenwechsel sein kann.
Die Herausforderungen für junge Führungskräfte
Junge Vorgesetzte können Unternehmen einen positiven Impuls geben. So kann zum Beispiel vermehrt auf die Digitalisierung gesetzt werden, falls dies noch nicht geschehen ist. Außerdem können positive Veränderungen für die Mitarbeiter, wie flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten und Homeoffice etabliert werden. Doch es entstehen auch Herausforderungen für die jungen Leader: Es kann Mitarbeiter geben, die älter sind, als der Chef und sich von einer jüngeren Person nichts sagen lassen wollen, weil sie im Laufe ihrer Karriere viel mehr Erfahrungen gesammelt haben. Deswegen ist es wichtig diese Mitarbeiter in neue Prozesse miteinzubeziehen und diese von der eigenen Kompetenz zu überzeugen. Zusätzlich ist es wichtig, mit ihnen anders umzugehen als mit den jüngeren Mitarbeitern, denn ältere Mitarbeiter haben häufig mit anderen Herausforderungen zu kämpfen als ihre jungen Teamkollegen. Man denke hier beispielsweise an die Digitalisierung: Junge Mitarbeiter wachsen mit dieser neuen Technologie auf, ältere Mitarbeiter hingegen müssen oft noch kurz vor Karriereende neue Arbeitsweisen und technologische Neuerungen kennenlernen. Führungspersonen sollten nicht unterschätzen, wie kompliziert und schwierig das ist. Sie können also nicht einfach voraussetzen, dass jeder die gleichen Kompetenzen mitbringt, und müssen sich daher in die Mitarbeiter hineinversetzten und sie anders motivieren.
In Krisenzeiten wird auf erfahrene Führungspersonen gesetzt
Trotz des Wandels hin zur Verjüngung der Führungspersönlichkeiten, sind ältere Leader keineswegs auf dem Abstellgleis. In Krisenzeiten sind ihre Erfahrung und Kompetenz immer wieder ein hilfreicher Aspekt, um aus den schwierigen Zeiten wieder herauszukommen. Auch hier ist das Beispiel Fußball sehr gut: Hertha BSC sind gerade auf dem 17.ten Tabellenplatz der Bundesliga. Das würde am Ende der Saison einen Abstieg in die zweite Liga bedeuten. Dies ist jedoch nicht der Anspruch des selbsternannten „Big City Clubs“. Daher wurde der bisherige Trainer Tayfun Korkut (47 Jahre) gegen den Ruheständler Felix Magath (68 Jahre) ausgetauscht. Auch in der vorherigen Saison war dieses Phänomen zu erkennen. So setzte der damals stark abstiegsbedrohte FC Schalke 04, nachdem sie den glücklosen David Wagner (damals 49 Jahre) entlassen hatten, zuerst als Übergangslösung auf die Schalke-Legende Huub Stevens (damals 67 Jahre), ehe sie Christian Gross (damals 66 Jahre) aus der Rente zurück ins Fußballgeschäft holten. Von Erfolg war diese Maßnahme jedoch nicht gekrönt: Christian Gross wurde nach drei Monaten wieder entlassen und der FC Schalke 04 ist schließlich in die zweite Liga abgestiegen.
Kann Magath überhaupt moderne Führung?
Seit über vier Jahren hat Magath keinen Verein mehr trainiert. Sein letzter Job in der Bundesliga liegt sogar schon über neun Jahre zurück. Nun soll er also Hertha BSC vor dem Abstieg retten. Doch erhielt er nur einen Vertrag bis zum Ende der Saison. Kann das gut gehen? Der 68-Jährige ist für Disziplin und seine harten Trainingsmethoden bekannt. Wenn die Spieler sich nicht an die Regeln halten und beispielsweise zu spät zum Training kommen, hagelt es Geldstrafen. Lothar Matthäus schrieb in seiner Kolumne für Sky: „Felix war noch nie der Kuschelbär, der jeden Spieler in den Arm nimmt und ein emotionales Verhältnis zu ihnen aufbaut". Der ehemalige Fußballspieler Thorsten Frings schlägt in der „ran Bundesliga Webshow“ in die gleiche Kerbe: „Er ist schon ein harter Trainer. Seine Mannschaften kommen über eine gute Fitness und können so Spiele gegen Ende immer noch drehen. Ich habe bei Magath menschlich aber keinen weichen Kern gespürt.“ Er sagt aber auch: „Ihn jedoch darauf zu reduzieren, nur ein ,Quälix’ zu sein, wäre nicht fair.“ Es gibt also viele kritische Stimmen gegenüber dem neuen Trainer von Hertha BSC. Auch wenn er lange Zeit nicht mehr als Bundesliga-Trainer arbeitete, hat er eine Chance verdient seine Erfahrungen zu nutzen und seine Spieler so zu guten sportlichen Leistungen zu verhelfen. Horst Held arbeitete ebenfalls bei mehreren Vereinen mit Felix Magath zusammen. Er sagte dem „Kicker“: „Wenn ich höre, Magath sei nicht modern, kann ich sowieso nur lachen. Ich habe ihn unfassbar früh als sehr modernen Trainer erlebt“. Doch heutzutage gehört eine harte Führung nicht mehr zu der modernen Art. Wichtiger sind Einfühlungsvermögen und Empathie, um die jüngeren Spieler psychisch nicht zu sehr zu belasten. Nur so können sie auch gute Leistungen zeigen.
Das Alter des Leaders ist nicht entscheidend
Egal welches Alter die Führungskraft hat – wichtig sind ohnehin ganz andere Dinge: „Ein langer Atem, Umgang mit Rückschlägen und Weitblick – diese Fähigkeiten beschreiben einen echten Champion. Das ist im wahren Leben nicht anders als im Sport“, weiß Leadership-Experte Andreas Klement. Durchsetzungsvermögen und Allwissenheit sind heute nicht mehr gefragt, stattdessen müssen moderne Führungspersonen die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter erkennen und gekonnt miteinander verknüpfen. Beispielsweise haben Millennials oder jünger andere Ansprüche als vorangegangene Generationen: Sie wollen mitentscheiden und nicht erst auf den nächsten Karriereschritt warten. Sich auf diese Generationen einzustellen ist vor allem für erfahrene Führungskräfte eine Herausforderung, da sie ganz anders aufgewachsen sind als die Millennials.
Moderne Führungskräfte haben zudem neue Rollen, so sind sie beispielsweise Navigatoren, die gute Teams zusammenstellen und die notwendigen Organisationsstrukturen schaffen. Viele betreiben Shared Leadership und halten die Hierarchien eher flach. Das bedeutet, dass Teammitglieder einzelne Führungskompetenzen übernehmen, die ihrem Wissen und ihren Kenntnissen entsprechen. Ein guter Dialog ist dabei Kernvoraussetzung, denn gerade angesichts der beschriebenen schnellen Veränderungen ist es wichtig, dass Führungskräfte immer bestens informiert sind und bei Problemen schnell reagieren können. Nur wer mit seinen Mitarbeitern kommuniziert, kann sich den ständig verändernden Rahmenbedingungen anpassen. Auch dies ist also eine große Änderung für erfahrene Leader, denn wenn sie weiterhin auf ihre alten Strukturen setzen, besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter zu anderen Unternehmen wechseln, die eine moderne Art der Führung leben. Doch auch die jungen Führungspersonen machen nicht automatisch alles richtig, denn ihnen fehlt oft die Erfahrung, um die veränderten Rahmenbedingungen einzuschätzen. Die heutigen Zeiten stellen also für alle Altersklassen eine Herausforderung dar.
Die schnellen globalen Veränderungen erschweren das Führen
Die Welt um uns herum verändert sich sehr viel schneller, als das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Das wiederum ist eine neue Herausforderung für alle Führungskräfte, denn es reicht nicht mehr, allein das Kerngeschäft zu optimieren. Vielmehr müssen Führungskräfte kontinuierlich einen Blick auf Innovationen haben. Leadership-Coach Andreas Klement sagt dazu: „In Veränderungen geht es ums Kapieren und nicht ums Kopieren“. Das bedeutet, dass Führungskräfte nicht nur auf andere Leader schauen sollten, um deren Maßnahmen nachzuahmen. Sie sollten stattdessen die Veränderungen im Blick behalten und selbst reagieren und Lösungen finden.
Wenn sich Leader also an diese Punkte halten, haben sie große Chancen erfolgreich zu sein. Dann ist es auch egal, ob sie wie Julian Nagelsmann, bei seinem ersten Job als Cheftrainer, 28 Jahre oder so wie Felix Magath heute 68 Jahre alt sind. Denn die Art der Führung ist entscheidend und nicht das Alter.